Das Institut zu Gast
Kurze Interviews mit Institutsangehörigen, die anderenorts zu Gast sind
Thomas Pölzler
Welche Funktion übst du am Grazer Institut für Philosophie aus?
Ich war bis vor kurzem als Universitätsassistent und Projektforscher am Arbeitsbereich Praktische Philosophie angestellt. Seit 5. Oktober 2023 forsche ich im Rahmen eines Marie Skłodowska-Curie Projekts im Ausland.
Wozu forschst du?
Ich interessiere mich sowohl für Grundlagenfragen als auch für Anwendungsfälle der Praktischen Philosophie. Zum Beispiel beschäftige ich mich mit der möglichen Objektivität der Moral, den Methoden der Ethik und unseren Verpflichtungen mit Bezug auf den Klimawandel. In der Regel nähere ich mich diesen Themen aus einem interdisziplinären Blickwinkel. Das gilt auch für mein gegenwärtiges Forschungsprojekt, in dem ich mich sowohl Methoden der Philosophie als auch der Psychologie bediene. In dem Projekt geht es um Unparteilichkeit im moralischen Überlegen. Konkret interessiert mich, ob ein bekanntes philosophisches Gedankenexperiment – der so genannte „Schleier des Nicht-Wissens“ – ein geeignetes Mittel zur Beförderung von Unparteilichkeit darstellt. Bis zu welchem Grad können wir von Merkmalen wie unserem Geschlecht, unserer Ethnie, unserem Alter, unserem Wohlstand, etc. abstrahieren? Wie zuverlässig und effektiv sind solche Versuche mit Hinblick auf die Kultivierung von Unparteilichkeit? Und welche Implikationen haben die Antworten auf diese Frage für philosophische Anwendungen des „Schleier“-Gedankenexperiments?
Wo bist du zur Zeit zu Gast?
Zur Zeit bin ich an der Universität Tokio zu Gast. Die Universität zählt etwa 28.000 Studierende und 4.000 Mitarbeiter:innen und gilt als die renommierteste Japans. Philosophie-Institute in Japan sind nach außen hin weniger offen als jene in vielen anderen Ländern. Auch liegt ihr Fokus oft deutlich im Bereich der kontinentalen Philosophie. Umso glücklicher bin ich, hier in Tokio mit Akira Inoue einen Kollegen zu haben, der sich sofort für eine Zusammenarbeit interessiert hat und ein Experte auf dem Gebiet meines analytisch ausgerichteten Projekts ist. Neben meinem Aufenthalt in Japan (siebzehn Monate) werde ich im Rahmen des Projekts auch noch an den Universitäten Oxford (fünf Monate) und Wellington (zwei Monate) tätig sein.
Wie kam es zu diesem Forschungsaufenthalt?
Ich habe bereits zuvor einmal ein Jahr in Japan verbracht, damals gefördert vom Japanischen Wissenschaftsfonds. In einer Millionenstadt wie Tokio zu leben war anfangs natürlich eine gewisse Umstellung. Ich bin in einem kleinen Dorf in der Oststeiermark aufgewachsen. Allerdings habe ich rasch gemerkt, dass ich mich in der japanischen Gesellschaft sehr wohlfühle. So hat sich der Wunsch entwickelt, nach diesem ersten Aufenthalt dorthin zurückzukehren. Ich habe mich deshalb bei der Europäischen Union für ein globales Marie Skłodowska-Curie Stipendium beworben, eine Förderschiene, die einen zweijährigen Aufenthalt in einem Nicht-EU-Land mit einer anschließenden einjährigen Rückkehrphase an der Heimatuniversität ermöglicht. Es ist toll, dass meine Bewerbung von Erfolg gekrönt war – nicht zuletzt auch dank der hervorragenden Unterstützung von Norbert Paulo, Lukas Meyer und verschiedener Stellen hier an der Universität, insbesondere dem Forschungsmanagement- und Service.
Inwiefern kann deine Forschung von diesen Aufenthalten profitieren?
Alle meine bisherigen Auslandsaufenthalte haben sich als sehr bereichernd erwiesen. Im Rahmen meines ersten Japan-Stipendiums etwa sind mehrere Fachartikel entstanden, die ich gemeinsam mit Tokioter Kollegen verfasst habe; ich bin mit zahlreichen neuen Themen und Methoden in Berührung gekommen und habe einiges über das Universitätssystem hier gelernt. Durch die weitgehende Entbindung von Lehr-Aufgaben ermöglichen es einem Auslandsstipendien, sich besonders intensiv mit den Themen seiner Forschung auseinanderzusetzen. Darüber hinaus habe ich das Gefühl, auch auf einer persönlichen Ebene sehr von meinen Gastaufenthalten zu profitieren. Vor allem in Japan wird man sich immer wieder der Kontingenz eigener Weltanschauungen und Denkmuster bewusst. Das lässt einen vielleicht ein kleines Stück weit offener werden.
Was gefällt dir besonders an deiner Gastinstitution?
Meiner bisherigen Erfahrung nach entspricht vieles hier an der Universität ziemlich genau dem Bild, das man sich von Japan oft von außen macht. Man wird stets sehr respektvoll und höflich behandelt. Es wird großer Wert auf die Einhaltung von Regeln gelegt. Diskussionen im Rahmen von Vorträgen oder Lehrveranstaltungen muten ziemlich zurückhaltend an, wenn man sie mit Europa oder Nordamerika vergleicht. Man muss dies alles natürlich nicht unbedingt nur als positiv betrachten. Persönlich fühle ich mich in diesem Umfeld aber, wie gesagt, sehr wohl, und genieße auch die Zusammenarbeit mit meinen Kolleg:innen, allen voran mit Akira Inoue. Ein großes Danke an die Europäische Union und die Universität Graz, dass sie diese tollen Erfahrungen möglich machen!