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Im Gedenken an Univ.-Prof. Dr. Reinhard Kamitz (1939-2022)

Mittwoch, 14.09.2022

Reinhard Kamitz (2. Januar 1939 – 14. August 2022), Sohn des gleichnamigen österreichischen Finanzministers von 1952 bis 1960, studierte Mathematik, Psychologie und Philosophie an der Universität Innsbruck, wo er 1961 mit einer Dissertation über „Franz Brentanos Lehre vom wahren Urteil“ promovierte und sich 1965 mit einer Studie über die kantianische Frage nach der Möglichkeit einer wissenschaftlichen Metaphysik habilitierte. Nach akademischen Wanderjahren, die ihn auch an verschiedene amerikanische Universitäten führten, wirkte er von 1971 bis 1984 als Professor für Wissenschaftstheorie und Logik an der Freien Universität Berlin, ehe er 1984 als Professor für Logik und systematische Philosophie an die Universität Graz berufen wurde, wo er über seine Emeritierung 2008 hinaus lehrte.

Als Philosoph war Kamitz dem empiristischen Anspruch einer wissenschaftlichen Philosophie verpflichtet. Er strebte nach größtmöglicher Klarheit und schätzte deren demokratische Triebkraft. Eine seiner wichtigsten Publikationen trägt den Titel „Positivismus. Befreiung vom Dogma“ (1973). Seine letzte große Publikation, ein zweibändiges Lehrbuch der Logik (2007), trägt den Untertitel „Faszination der Klarheit“. Philosophie und Logik sollten keine hermetischen „Geheimwissenschaften“ für einen auserwählten Kreis Eingeweihter sein, sondern zugänglich für jeden, der bereit ist, seinen Verstand zu gebrauchen.

Es ist somit nur konsequent, dass Kamitz’ Lebensleistung nicht zuletzt auf dem Gebiet der universitären Lehre liegt. Er unterrichtete über Jahrzehnte das Fach „Formale Logik“ für Studierende der Philosophie an der Karl-Franzens-Universität Graz. Aufgrund ihrer Verwandtschaft zur Mathematik war und ist formale Logik bei typischen Anfänger*innen des Studienfachs Philosophie tendenziell unbeliebt, oftmals sogar angstbesetzt. Kamitz war es aber ein Herzensanliegen, allen Studierenden im Grundstudium eine solide Ausbildung in diesem Fach zu vermitteln. Niemand sollte sich daran vorbeimogeln können, aber es sollte auch niemand daran scheitern. Daher sorgte er dafür, dass die Logik als Pflichtfach in den ersten Semestern des Studiums mit hohem Stundenkontingent im Studienplan verankert war. Er war ein hervorragender Didaktiker, und so gelang es ihm, bei fast allen Studierenden emotionale Widerstände und Ängste rasch aufzulösen. Nicht wenige ehemalige Mathematik-Muffel konnte er mit seiner Begeisterung für diese völlig ideologiefreie Wissenschaft anstecken.

Er konnte aber auch vermitteln, dass „ideologiefrei“ keineswegs gleichbedeutend ist mit „gesellschaftspolitisch irrelevant“ – ganz im Gegenteil. Die emanzipatorische Kraft des logisch geschulten Denkens brachte er auf die Formel: „Ein Argument ist ein Argument“ – egal von wem, in welchem Kontext, mit welcher Absicht es vorgebracht wird. Diese Botschaft hat seit Kamitz’ Zeit als aktiver Hochschullehrer sicher nicht an Aktualität verloren.

Kamitz lehrte niemals Ethik oder politische Philosophie. Aber er lebte – in völlig unaufdringlicher und selbstverständlicher Weise – Werte vor. Der Frühaufsteher Kamitz legte seine Einführungsvorlesung auf Montag, 8 Uhr morgens – für viele Studierende eine Zumutung. Im Gegensatz zu den meisten Professorenkollegen erschien er nicht erst 5 Minuten nach der Beginnzeit im Hörsaal; vielmehr schritt er in der Regel schon eine Viertelstunde vorher federnden Schrittes vor der „Vorklinik“ auf und ab, stets ein freundliches Lächeln und einen munteren Gruß für die nicht immer ganz ausgeschlafen heranschlurfenden Studierenden auf den Lippen. Man konnte ihm daher den Termin nicht übelnehmen.

Einen nicht geringen Teil seiner Arbeitszeit widmete er, Woche für Woche, der Korrektur von Übungsblättern. Klausuren (hunderte jedes Semester) korrigierte er stets persönlich.

Kamitz begegnete Studierenden niemals kumpelhaft, aber immer mit Respekt und Wohlwollen. Gegenüber Studierenden, die er schätzte, sparte er nicht mit Lob und Anerkennung – unabhängig von deren sozialer Herkunft, Geschlecht oder politischer Weltanschauung. Durch das auf diese Weise genährte Selbstvertrauen legte er das Fundament für so manche ungewöhnliche Karriere; und in akuten persönlichen Krisen leistete er effizienten Beistand ohne jedes Aufheben.

Kamitz – der Sohn eines hochrangigen Politikers – war selbst kein politischer „Macher“, auch nicht im Universitätsbetrieb. Er konnte wohl für Anliegen, die ihm wichtig waren, seine sonore Stimme erheben; und er genoss Ansehen und Autorität. Aber politische Ränkespiele waren ihm fremd; und man merkte ihm an, dass er in Gremiensitzungen nicht in seinem Element war. Dennoch diente er pflichtbewusst und uneigennützig der Geisteswissenschaftlichen Fakultät etliche Jahre lang als Dekan (1989–1991, 1995–1997) und der Universität Graz als Prärektor (1992–1993) – bis er dieses Amt aus gesundheitlichen Gründen niederlegen musste.

In seinen letzten Lebensjahren lebte er zurückgezogen mit seiner Frau Inge in seinem Haus am Fuße des Schöckels.

 

Maria Reicher-Marek (Aachen/Graz)

Johann Marek (Graz)

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