Am 24. Oktober 2023, im Alter von 102 Jahren, verstarb in Heidelberg der deutsche Soziologe, Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Hans Albert. Österreich war er als langjähriger wissenschaftlicher Hauptberater des Europäischen Forums Alpbach, der Steiermark durch die familiären Wurzeln seiner Frau, und der Universität Graz vor allem seit 2007 durch ein an ihn verliehenes Ehrendoktorat verbunden. Die Beziehungen des Verstorbenen zum Philosophischen Institut der Universität Graz waren vielfältiger Natur: er stand in fachlicher und persönlicher Beziehung zu mehreren hier tätigen Kollegen – insbesondere und bereits seit Mitte der 1950er Jahre zu Ernst Topitsch –, nahm 1990 eine Gastprofessur am Institut für Philosophie sowie mehrere Einladungen als Vortragender vor der Philosophischen Gesellschaft wahr. Viele Jahre hindurch war er zudem in beratender Funktion bei der an dem Institut besorgten Edition der Buchreihe „Series in the Philosophy of Karl Popper and Critical Rationalism“ tätig.
Hans Albert gilt als der bedeutendste Vertreter des Kritischen Rationalismus in der Nachfolge von Karl Popper im deutschen Sprachraum. Nach der Veröffentlichung von unter Wirtschaftswissenschaftlern sehr geschätzten Werken, die vor allem der eigentümlichen Doppelrolle von wirtschaftstheoretischen und zugleich wirtschaftspolitischen Modellen galten, verlagerte sich der Schwerpunkt seiner Veröffentlichungen auf die Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie. Dabei vertrat er die Auffassung von der Fehlbarkeit der menschlichen Vernunft (Fallibilismus) in allen Bereichen der Erkenntnis, also auch im Bereich von Moral und Politik. Eine rationale Erörterung von Wertungsfragen erschien ihm möglich, ohne jedoch einem Prinzip der Letztbegründung Folge zu leisten. International bekannt wurde Albert vor allem durch den in den 1960er Jahren ausgetragenen „Positivismusstreit“ (1969), in dessen Verlauf es zur Konfrontation der kritischen Rationalisten Popper und Albert mit den beiden Vertretern der Kritischen Theorie Theodor W. Adorno und Jürgen Habermas kam; letztlich ging es dabei um Art und Ausmaß der Überprüfbarkeit von normativ wertenden Aussagen, also Werturteilen.
Von Alberts knapp 30 Monographien hat sein „Traktat über kritische Vernunft“ (1968) das größte Interesse in der Fachwelt geweckt, daneben auch sein „Traktat über rationale Praxis“ (1978) und die „Kritik der reinen Erkenntnislehre“ (1987). Seine kritischen Einlassungen zu Fragen der Theologie trafen hingegen auf sehr gemischte Reaktionen. Außer insgesamt fünf Ehrendoktoraten wurde Hans Albert das deutsche Bundesverdienstkreuz I. Klasse, das Ehrenkreuz für Kunst und Wissenschaft I. Klasse der Republik Österreich, sowie der Tiroler Adler-Orden in Gold verliehen; auch war er Mitglied der Academia Europaea und der Accademia delle Scienze di Torino.
Wie von kaum einem anderen Gelehrten konnte man von Hans Albert lernen, was es heißt, klar zu argumentieren und eine Abwehrhaltung gegen jene Art von Tiefgründigkeit zu entwickeln, die viele verehren, nur weil sie sie nicht fassen können. Seine Liebenswürdigkeit, Offenheit und Großzügigkeit zog viele in seinen Bann. Diskutiert wurde, auch über weltanschauliche Lager hinweg, nicht selten heftig, aber stets kollegial – solange der Wille zur Diskussion nicht dem Prinzip bedingungsloser Parteilichkeit oder einer nicht weiter vermittelbaren Schau des „Wahren“ Platz machte.
Karl Acham, Kurt Salamun